Risiken und Nebenwirkungen

Ich hatte hier kurz eine liebe Kollegin aus Berlin, die berichtete von einer früheren Episode, als sie "viel zu spät" das berufliche Elend beendete, das sich ihr damals unentwirrbar bot. Man habe dann so lange zu verarbeiten bis überhaupt wieder Trauma weg und Traute da ist.
So machte sie in diesem Unternehmen, in dem ich sie kurz kennenlernte, zum Ende der Probezeit auf dem Absatz kehrt, schredderte noch haufenweise Papier, holte ihre höchstens sieben Sachen aus einem möblierten Appartement und entschwand. Ich war sehr beeindruckt: Zwar hatte sie in diesem Fall das Mammutglück, eine neue Stelle gefunden zu haben. Sie versicherte aber, sie wäre auch sonst geflohen, siehe oben.

Ich habe gekündigt. Ich war zweieinhalb Jahre da, davon eine sehr lange Zeit ohne irgend vorhandene Überzeung und mit mauem Lebensgefühl. Zu häufigen Tränenauf dem Weg zur Arbeit. Alpträumen im Urlaub. Fast-Depressionen im Winter. Ich habe gekündigt.

Nun sitze ich da und mache die Übergabe fertig. Es strengt mich sehr an. Alles wird nochmal angetippt und steigt nochmal hoch. Heute Morgen, als ich die kommenden letzten zwei Wochen vor mir sah und mit dem Weckerklingeln zu akzeptieren hatte, überkam mich ein regressiver Taumel, ein Wutanfall wie bei einem kleinen Kind. Ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr. Heiße empörte Tränen. Fast hätte ich mich auf den Boden geworfen und getrozt wie höchstens ein vierjähriges.

Grenzwertig. Ich gehe davon aus, dass ich noch halbwegs unversehrt ins neue Leben komme. So ähnlich wie bei Verbrennungen, so ist die Haut meiner Seele nicht zu lebensgefährlichen Prozentanteilen verletzt. Ich sehe Regenerierbarkeit und verschontes Gesundes ist noch da.

Aber ich weiß, dass es gefährlich ist, zu lange mit einer inneren Kündigung zu leben. Passt auf euch auf!
Manchmal mag der Sprung ins kalte Wasser viel besser sein als das Verdampfen des Lebensmuts in unerquicklicher Zwangslage.
sammelmappe - 4. Dez, 18:43

Da triffst du genau den Punkt. Wie groß der Schaden an der Seele ist, den man in dieser Zeit des Bleibens anrichtet, das spürt man oft erst hinterher.

fragmente - 7. Dez, 13:47

Ganz herzlichen Dank für diesen Beitrag!
Wie hat denn Ihr Arbeitgeber auf die (äußere) Kündigung reagiert? Wurde nach Gründen gefragt? Gab es Bedauern aufgrund Ihres Weggangs? Hat man Sie verabschiedet, womöglich mit einem kleinen Geschenk?

dus - 7. Dez, 13:51

stimmt

wasserfrau - 7. Dez, 14:11

Die Arbeitgebergespräche fanden in zwei Etappen statt. Meine direkte Chefin war ganz kurz überrascht, gleichwohl habe ich dann pronto meine Gründe (in einer abgespeckten, also nicht kämpferischen Form) sowie meinen Entschluss mit großer Bestimmtheit vorgetragen. Worte des Bedauerns unterblieben, auch dann beim obersten Häuptling, der ja aber schon Bescheid wusste. Der sagte nur: "Ich glaube, das war auch gar nicht ihr Job. Das warfür sie viel zu langweilig." So, hat er also nach zweieinhalb Jahren gemerkt. Die Stimmung war wie von mir gewünscht friedlich und sachlich. Ich bn froh, dass ich das alles hocherhobenen Kopfes über die Bühne bringen konnte!
Ein Geschenk gibt´s vielleicht noch. Kolleginnen intern und extern verwöhnen mich derzeit durchaus. Das ist prima.

Iggy - 8. Dez, 18:01

ich bin viel zu lange geblieben,

und jetzt bin ich total verkorkst. oder war ich von anfang an verkorkst, weil ich viel zu lange geblieben bin? wie auch immer... verkorkst.

wasserfrau - 8. Dez, 18:12

Bist du noch dort, iggy? (weil: Solange ich mich nicht durchgerungen hatte, wegzugehen, da hatte ich auch die gleichen "Fühlgedanken", immer wieder: Ich werde immer "weniger" hier und verkorkster und... und auch ich hätte nicht sagen können, ob es nicht total verkorkst ist, dass ich IMMERNOCH da bin und IMMERNOCH. Diese Tage reihten sich aneinader. Keine Angst: Wenn man von diesem ewig wippenden Sprungbrett endlich springt, fühlt man sich gar nicht mehr soo verkorkst.
(Wenn ich auch nicht weiß was jetzt kommt - und ja jede/r seine Entscheidung selbst treffen muss, eh klar!)

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